Endlich war es wieder soweit. Unser Kurztrip und für Thomas das 2. Mal die Teilnahme am härtesten Jedermann-Radrennen Europas, den Ötztaler Radmarathon stand an.
238 km – 5500 Höhenmeter – 4 Alpenpässe und über 4.000 Teilnehmer, die sich im Zuge einer Verlosung zu den Glücklichen zählen dürfen.
Am Freitag, den 31.08.2018 Abfahrt um 04:15 Uhr in Neustrelitz gen Sölden (Österreich). Die Fahrt war relativ entspannt, so dass wir bereits gegen 13:30 Uhr unser Ziel erreicht hatten. Das Wetter in Sölden verhieß nichts Gutes. Regen und Kälte erwarteten uns. Beides waren wir nach den monatelangen Hitzeperioden nicht mehr gewohnt. Egal – da müssen wir jetzt durch.
Auf der Fahrt zur Unterkunft machten wir noch einen kleinen Abstecher in Richtung Kühtai, wo bereits der erste Anstieg des Rennens auf die Rennradfahrer wartete. Thomas wollte mir zeigen, wie steil und kehrenreich die Strecke verlief, damit ich mal ein Gefühl dafür bekomme, was die Jungs und Mädels auf ihren Rädern so leisten. Auf halber Strecke, in Höhe Ochsengarten kehrten wir um. Die Sicht wurde immer schlechter. Eine Menge Respekt flößte mir allein dieses Stückchen Anstieg ein – doch wie ist es dann erst am Jaufenpass und Timmelsjoch? Mit keinem der Fahrerinnen und Fahrer möchte ich tauschen.
Im strömenden Regen kamen wir in unserer wunderschönen Unterkunft an. Diese ließ uns das schlechte Wetter vorerst vergessen.
Nach einer kurzen Verschnaufpause fuhren wir zur Freizeitarena, wo jeder Fahrer sein Starterpaket entgegen nehmen konnte. Wie jedes Mal hatten wieder namhafte Händler aus der Radsportszene ihre Messestände aufgebaut, warben für ihre Produkte und gaben wertvolle Tipps für das Rennen. Auch Stefan Kirchmair, 2-facher Sieger des Ötztaler Radmarathons war mit seinem Kirchmair Cycling Team an einem Stand vertreten (Achtung: Stefan kommt am 27.10.2018 nach Neustrelitz und gibt Vorträge – Anmeldung ist noch möglich). Wir begrüßten uns und hinterlegten bei ihm Flyer der Mecklenburger Seenrunde 2019. Ach, und wie sollte es anders sein, trafen wir dann auch einen weiteren Botschafter der MSR aus Waren (Müritz) und natürlich die Neubrandenburger Rennradfahrer.
Dann war lecker Pizza essen im Restaurant der Freizeitarena angesagt, anschließend ins Hotel, noch etwas Fernsehen gucken, whatsappen oder lesen und dann nur noch Augen zu und schlafen. Wir sind halt keine 20 mehr J.
Samstag, 01.09.2018
Nach einem ausgiebigen Frühstück überlegten wir, wie wir den Tag gestalten. Ein Training war bei diesem kalten regnerischen Wetter für Thomas nicht drin. Er wollte nicht das Risiko einer möglichen Verletzung oder auch Erkältung eingehen. Dann wäre sein Traum vorbei. Immer wieder der Blick auf die Wettermeldungen. Sonntag, der große Tag, es soll trocken bleiben. Hoffnung und Erleichterung macht sich vorerst breit.
Wir verbrachten den Samstag erneut auf der Rennmeile, besuchten die Messestände und gingen ohne Erfolg shoppen. Ja richtig – ohne Erfolg. Viele Radfahrer hatten die gleiche Idee wie Thomas. Keiner möchte beim Rennen am Sonntag kalte und nasse Füße haben. Also suchten alle nach Überziehern. Es war restlos ausverkauft. Das schlechte Wetter sorgte für einen Megaumsatz bei den Händlern, die Überzieher anzubieten hatten.
Hurra, zwischen 10 und 13 Uhr hört der Regen auf. Endlich für kurze Zeit mal ohne Regenschirm durch diesen wunderschönen Ort Sölden ziehen, in den wir uns bereits 2016 verliebt hatten. Ach, wie sehr wünschten wir uns doch das schöne Wetter von damals.
Der große Tag rückte näher. Nur noch wenige Stunden bis dahin. Wir gingen beizeiten ins Zimmer. Essen, Ruhe und mentales Vorbereiten auf das morgige Rennen. Noch ahnte keiner, dass es der allerhärteste Ötztaler Radmarathon der letzten Jahre werden würde.
Sonntag, 02.09.2018 – Der große Tag
Der Wecker klingelt 04:30 Uhr. Trotz Anspannung hatten wir gut geschlafen. Der 1. Blick vom Balkon brachte vorerst Erleichterung. Die Straßen waren abgetrocknet, doch unsere Freude darüber nur kurzweilig.
Die Vermieterin hatte bereits für die Fahrer das Frühstück vorbereitet. Ich blieb noch oben und wartete auf mein Frühstück nach dem Start. Thomas hatte keinen Hunger, nahm aber doch was zu sich, denn ohne etwas gegessen zu haben, steht Keiner diese 238 km und die 5500 Höhenmeter durch.
Oh je, ich merkte, wie mein Mann immer ruhiger wurde. Jetzt heißt es für mich: „Kathrin – Schnauze halten“. Jedes falsche Wort oder jede falsche Tonlage könnte das Adrenalin aus Thomas seinem Körper und Geist herausplatzen lassen.
Wir gehen gemeinsam zum Start (offizieller Start: 06:45 Uhr). Thomas steht 06:13 Uhr im Starterfeld, ich neben ihm und halte ihm die warmen Sachen bereit. Es ist wahnsinnig kalt. Nun wird es immer dichter im Startblock. Ich muss jetzt raus hier, sonst fahren die mich um. Noch ein Küsschen für Thomas und viel Glück auf den Weg.
Dann begebe ich mich zum vordersten Starterfeld, aus dem auch das Kirchmair Cycling Team starten wird. Stefan gibt gerade ein Interview. Dann sieht er mich und ich halte ihm die die gedrückten Daumen entgegen.
Wow, es sind bereits um diese frühe Uhrzeit so viele Zuschauer vor Ort. Es ist eine Wahnsinnsstimmung. Die Moderaten heizen so richtig ein und schaffen es, wirklich jeden Einzelnen mitzureißen. Die Massen klatschen, pfeifen, rufen, singen und Manche schwingen Kuhglocken. Es erklingt coole Musik aus den Boxen. Im Hintergrund werden die Ballons angeheizt. Es ist Gänsehaut pur – ich merke, wie auch mein Adrenalinspiegel steigt.
Dann: Noch 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1 – Pünktlich um 06:45 Uhr ertönt der Kanonenschlag.. Die Fahrer setzen sich in Bewegung und die Menschenmassen toben und feuern jeden einzelnen Teilnehmer an.
06:49 Uhr fährt Thomas über die Startlinie. Er hört mich nicht mehr, ist jetzt hoch konzentriert und dann sehe ich ihn nicht mehr.
Ich gehe zurück ins Hotel und nehme erst mal in Ruhe mein Frühstück ein. Im Frühstücksraum wird im Fernsehen der Ötztaler Radmarathon live übertragen und ich starre immerzu auf die Flimmerkiste. Ich bin im Ötzi-Fieber.
Großer Gott. Das Wetter wird immer schlechter. Es regnet in Strömen. Die Fahrer müssen bereits nach den ersten 100 m völlig durchnässt sein. Hoffentlich geht alles gut.
Mittels Datasport-Event App kann ich immerzu verfolgen, wo sich Thomas gerade befindet:
07:27 Uhr erreicht er Ötz. Dort geht es rechts weg ins Kühtai. Die ersten Kilometer dieses Passes sind recht steil, bevor es wieder flacher wird, gefolgt von einem noch steileren Stück. In Ochsengarten wurde es wieder flacher, um dann den 18,5 km langen Anstieg mit einem noch steileren Anstieg zu beenden.
So, fertig mit Frühstück. Ich will mir die Zeit bis zum Zieleinlauf auch mit sportlicher Betätigung vertreiben. Also entschloss ich mich, eine kleine Wanderung zu unternehmen. Ich machte mich auf den Weg nach Zwieselstein, dem Ort, an dem wir 2016 unsere Unterkunft hatten. Den Wanderweg kannte ich also. Durch den Wald auf einem teils sehr steinigen schmalen Weg, mit kleinen An- und Abstiegen, unten die Schlucht mit der reißenden Ötztaler Ache. Eine wunderbare Naturlandschaft. Im Gegensatz zu den Rennradfahrern, die bereits nach kurzer Zeit völlig durchnässt und durchgefroren waren, kam ich beim Wandern so richtig ins Schwitzen. Andere Fahrerfrauen taten es mir gleich, wanderten, joggten oder fuhren Mountainbike und vertrieben sich so die Zeit, bis ihre Männer wieder im Ziel waren.
Na ca. 2 Stunden war ich wieder zurück in der Unterkunft, sprang unter die Dusche und fühlte mich derart tiefenentspannt, dass ich die mitgebrachte Yogamatte beiseite legen konnte.
Ich schaue auf die App, um zu sehen, welche Stationen Thomas in welcher Zeit hinter sich gebracht hat:
08:45 Uhr Kühtai – Nebel mit Sichtweiten unter 20 m
09:37 Uhr Innsbruck
10:53 Uhr Brenner – Von dort ging es nach Sterzing in Südtirol. Dann der Jaufenpass mit 16 km. Vor lauter Bäumen und Nebel nichts zu sehen. Der Tenor im Peloton war:
„Der Ötzi beginnt erst hier.“
13:00 Uhr der Jaufenpass – 2. Große Hürde
13:30 Uhr St. Leonhard im Passeier. 20 km mit vielen Kurven und Kehren. Nichts für Angsthasen. Hier heißt es höchste Konzentration.
Gegen 14:00 Uhr begebe ich mich zur Freizeitarena, wo die Zielankunft für die Fahrer sein wird. Es herrscht trotz des kalten und nassen Wetters eine riesen Partystimmung. Die Moderatoren sind echt der Wahnsinn. Sie schaffen es, die Zuschauer so zu motivieren, dass tatsächlich jeder ankommende Rennradfahrer mit einem tosenden Applaus empfangen wird. Jede Fahrerin und jeder Fahrer hört den eigenen Namen durchs Mikrofon und dann noch die große Leinwand, auf der alle ankommenden Fahrer sich sehen können. In dem Moment fühlen sich alle wie Sieger. Es ist der Wahnsinn.
Wo ist Thomas jetzt?
Noch nicht das Timmelsjoch erreicht. Dort oben soll in der letzten Nacht 15 cm Neuschnee gefallen sein. Ich fange an zu frieren, doch ich klatsche mich warm. Das können die Fahrer leider nicht. Du meine Güte: Es kommen erfrorene Fahrer ins Ziel. Einer kommt nicht vom Fahrrad herunter, so steif ist er. Drei Mann müssen ihn vom Rad holen. Sie wickeln ihn in Folie ein und nehmen ihn auf einer Krankentrage mit. Meine Sorge um Thomas wächst.
Dann endlich. Thomas hat das Timmelsjoch erreicht. Die ersten Kilometer bis dahin sind noch eher flach. Dann aber 26 km nur Anstieg.
Jetzt dauert es nicht mehr lange, dann fährt auch er ins Ziel ein. Ich muss unbedingt mein Handy bereit halten.
17:00:08 Uhr. Ich schreie mir die Seele aus dem Leib. Endlich ist er da. Ich fang an zu weinen. Thomas hat es geschafft – meine Anspannung löst sich und wir sind beide einfach nur überglücklich. 10:11:07 – eine Wahnsinnszeit unter diesen extremen Witterungsbedingungen.
Überglücklich, aber völlig durchgefroren holt sich Thomas sein Finisher Trikot. Jetzt heißt es aufwärmen. Ab in die Unterkunft, Erholung. Dann Pasta essen und Siegerehrung in der Freizeitarena. Auch hier eine Superstimmung. Neben den 3 Siegerinnen und Siegern wird auch der Fahrer geehrt, der als Allerletzter über die Ziellinie fuhr als Respekt und Anerkennung auch für dessen Leistung. Welch schöne Geste. Und die Massen toben.
Schade ein einzigartiges Erlebnis geht zu Ende. Wir wären gern noch länger geblieben. Aber wir kommen wieder.
Am Montag, den 03.09.2018 geht es wieder nachhause. Und wir sind noch Tage danach im „Ötzi-Hype“.
Kathrin Reinke